Mein Sternenkind Doreen

Die unbeschwerte Zeit mit Dir

Die Schwangerschaft mit dir verlief wie im Bilderbuch. Ich hatte kaum Beschwerden. Nur der heiße Sommer 2018 machte mir hin und wieder zu schaffen. Die Untersuchungen beim Frauenarzt verliefen alle ohne Probleme und Auffälligkeiten. Ich hab meine erste Tochter langsam darauf vorbereitet, dass sie bald deine große Schwester wird. Hin und wieder hatte ich ein wenig Angst, mein Glück könnte zu groß sein. Gerade zu der Zeit, als zwei Sternenkinder in unserem näheren Umfeld zur Welt kamen, habe ich mich ein bisschen gesorgt, dir könnte auch etwas passieren. Aber alles in allem habe ich immer versucht guter Hoffnung zu sein. Bis zur 36. Woche …

Plötzlich war alles anders

Ich bin an dem Tag zu meiner Hebamme. Eigentlich wollte ich mit ihr nochmal über die Geburt und das Stillen sprechen. Ich hatte meine „große“ Tochter mit dabei. Gegen Ende des Gesprächs habe ich nochmal angesprochen, dass ich keine aktiven Tritte mehr spüre. Habe mich aber selbst nicht so sehr gesorgt, da meine erste Tochter auch sehr ruhig war. Die Hebamme hat dann ein CTG gemacht, aber keine Herztöne gefunden. Sie hat das runtergespielt und gesagt, ihr Gerät sei sehr alt. Ich solle umgehend zum Frauenarzt gehen und das überprüfen lassen. Rückblickend glaube ich, meine Psyche war bereits im Schutzmodus, denn selbst jetzt bin ich nicht in Panik geraten. Ich bin ganz ruhig mit meiner Tochter zum Arzt. Das CTG hat ewig gedauert. Die Arzthelferin hat zunächst keine Herztöne gefunden. Nach einer Weile hat sie aber einen Herzschlag gefunden. Es sollte sich herausstellen, dass es meiner war. Der Arzt hat dann einen sehr langen Ultraschall gemacht. Selbst da hat es bei mir nicht Klick gemacht. Meine große Tochter ist dann immer unruhiger geworden. Sie war ja immer noch dabei. Plötzlich hat mich der Arzt aufgeklärt, dass er keine Aktivität mehr erkennen kann. In diesem Moment ist das Tor zu meinem Unterbewusstsein aufgegangen. Ich hab einen Schrei von mir gelassen und meine große Tochter fest in die Arme genommen. Mein Mann wurde angerufen und ich bekam eine Überweisung ins Krankenhaus. Es war alles so unwirklich und doch wusste ich, es ist wahr.

Deine Geburt

Kurz nach der Diagnose war ich mir sicher, ich möchte einen Kaiserschnitt. Der Gedanke, ein totes Kind zur Welt zu bringen, war für mich unvorstellbar und grausam. Die Ärztin im Krankenhaus hat mich und meinen Mann nach der Bestätigungsuntersuchung aber sehr einfühlsam aufgeklärt und mir versichert, es sei besser, wenn ich unsere Tochter natürlich zur Welt bringe. Mein Mann wurde direkt mit aufgenommen und wir bekamen ein Zimmer für uns. Ich wurde am Abend zum ersten Mal eingeleitet. Am nächsten Morgen dann das zweite Mal. Man hatte mich darauf hingewiesen, dass es sehr lange dauern könnte, da meine Tochter ja nicht mehr aktiv mithelfen könnte.

Eine Seelsorgerin kam dann zu uns ins Zimmer. Ich bin ihr heute noch sehr dankbar. In diesem Gespräch haben wir den Namen unserer Tochter, Doreen, das erste mal laut ausgesprochen. Es tat unglaublich weh und war doch befreiend. Die Seelsorgerin fragte mich dann noch, wovor ich Angst hätte. Ich würde ja mein Kind zur Welt bringen und davor müsste ich mich nicht fürchten. Dieser Satz hat etwas in mir gelöst. Als die Seelsorgerin unser Zimmer verlassen hat, gingen die Wehen los. Es ging dann alles schneller als erwartet und ich habe unserer Tochter im Zimmer zur Welt gebracht.

Rückblickend bin ich ihr dankbar, dass ich nicht in den Kreißsaal musste. Ich bekam unsere Tochter Doreen, wie nach einer ganz normalen Geburt, auf den Arm. Sie war unglaublich schön! Einfach perfekt. Es war ein unglaubliches Gefühl, auch wenn sie tot war. Ich bin so dankbar für dieses schöne Erlebnis einer natürlichen Geburt. Alles, was mir von meiner Tochter bleibt. Doreen durfte dann den ganzen Tag bei uns bleiben. Wir durften den Zeitpunkt selbst bestimmen, an dem wir sie abgegeben haben. Ein Abschied für immer.

Die Zeit danach

Wir haben uns gegen eine Obduktion entschieden. Unsere Tochter war einfach zu perfekt. Die Ärzte wiesen uns auch darauf hin, dass sie sehr wahrscheinlich keine Ursache finden werden. Man spricht von plötzlichem Kindstod im Mutterleib. Wir sind am Tag nach der Geburt wieder nach Hause. Ich hab mir immer wieder unbewusst an den Bauch gelangt. Es war eine unbeschreibliche Leere. Mein einziger Halt waren meine große Tochter und mein Mann. Wir haben uns dann an Helga Schmidtke gewandt. Sie hat uns wundervoll an die Hand genommen. Es gab so viele Entscheidungen zu treffen. Wir haben uns dann zum Glück dazu entschieden, Doreen in dem Ort zu begraben, in dem wir gerade unser Haus bauten. Zuerst hatte ich auch hier Angst, ich könnte ungewollt an schreckliche Situationen erinnert werden. Aber all diese Ängste waren so unbegründet. Helga hat die Beerdigung geleitet und wundervolle Worte gesprochen. Wir waren nur ein kleiner Kreis, weil ich diesen letzten intimen Abschied nicht mit vielen Menschen teilen wollte.

Besonders schlimm war für mich die erste Zeit, in der sich die Welt einfach weiter dreht. Mein Leben lag in Scherben, ich musste mich komplett neu finden. Für mich wurde das Geschehene von Tag zu Tag wirklicher und für mein Umfeld rückte der Todestag meiner Tochter immer weiter weg. Und dann noch die vielen Begegnungen mit flüchtigen Bekannten, die einen dann aber doch ansprechen, wann das Baby zur Welt gekommen ist. Ich habe diese Zeit nur durch den Kontakt zu anderen Sterneneltern ertragen können.

Ich denke jeden Tag an Doreen. Es gibt keinen Tag, an dem ich sie plötzlich vergessen habe. Sie ist immer da. Und ich bin stolz, ihre Mama zu sein. Ich habe unglaublich tolle Menschen kennengelernt und noch viel wichtiger, ich habe unglaublich viel über mich selbst gelernt. Es war eine verdammt schwere Zeit und auch heute sind nicht alle Tage leicht. Ich bin nicht dankbar, dass meine Tochter gehen musste. Ich hätte sie natürlich viel lieber bei mir! Aber ich bin dankbar, dass sie da war, dass ich eine so wundervolle Tochter im Himmel habe.

Das möchte ich besonders hervorheben oder das hätte ich gerne anders gehabt

Besonders schön fand ich, dass meine Hebamme mich nicht im Stich gelassen hat. Sie hat mich wie jede andere Wöchnerin regelmäßig besucht und untersucht. Sie hat sich die Zeit genommen, über unsere Tochter und unseren Verlust zu sprechen.

Die Betreuung durch das Sternenkindzentrum Odenwald e.V. war meine große Stütze. Ich konnten an einem Rückbildungskurs für Sterneneltern teilnehmen und hatte eine Trauerbegleitung. Das war ein großes Geschenk.

Generell hätte ich im Krankenhaus noch mutigere Menschen gebraucht. Es wurde zu oft gefragt, statt einfach gemacht. Mich hat das überfordert. Aus diesem Grund hatten wir auch keinen Sternenkinderfotografen im Krankenhaus. Wäre einfach einer dagewesen, hätten wir ihn sicher niemals nach Hause geschickt. Aber aktiv einen einzufordern, dazu war ich nicht in der Lage.